Die frohe Kunde vom Engelsberg

Jakob Strobel y Serra (FAZ)

Der Glaube an die aromatische Allmacht des Burgunders ließ Thomas Rinker vor 25 Jahren ein bescheidenes Weingut kaufen. Heute kommt bei ihm so gut wie nie etwas anderes als Burgunder in Fass und Flasche – und etwas anderes wünscht sich auch kein Weinliebhaber.

Die Nationalisten, die gerade mit ihrer Kleinmütigkeit das Klima in ganz Europa vergiften, haben glücklicherweise noch nicht den Wein als Kampfplatz entdeckt. Deutschland dem Riesling! Frankreich dem Pinot! Spanien dem Tempranillo! Österreich dem Veltliner! Ungarn dem Tokajer! So würden ihre Schlachtrufe lauten, die in den Ohren aller Weinliebhaber wie pharisäische Kleinstaatenkeiferei klängen.

In deren Welt gibt es zum Glück keine Engstirnigkeit der Grenzgedanken, sondern nur die grenzenlose Lust am guten Geschmack, und eines der besten Beispiele dafür ist das Weingut Knab am Kaiserstuhl, das sich fast nichts aus deutschem Riesling und fast alles aus französischem Pinot macht: Jeweils dreißig Prozent Weiß-, Grau- und Spätburgunder wachsen in seinen Wingerten rund um das schöne, alte, erzkatholische, mit Heiligen, Jungfrauen, Kruzifixen vollgestopfte Dorf Endingen, die meisten davon – wie könnte es in dieser strenggläubigen Gegend anders sein – in der Einzellage Endinger Engelsberg.

Der Glaube an die aromatische Allmacht des Burgunders war es auch, der den Kaiserstühler Winzersohn Thomas Rinker 1994 den waghalsigen Entschluss fassen ließ, seinen sicheren Job als Kellermeister einer Winzergenossenschaft aufzugeben und gemeinsam mit seiner Frau Regina ein bescheidenes Weingut mit viereinhalb Hektar Fläche zu kaufen – „bei Zinsen von acht Prozent“, wie er noch heute mit leichtem Grausen sagt.

Der Name Knab war damals vor allem für die angeschlossene Gastwirtschaft bekannt, eine Art „Auerbachs Keller“ der Freiburger Studenten, in dem das Gros der Knab-Weine weggeschlotzt wurde, meist Kerner und Scheureben von einigem akademischen Brummschädelpotential. Rinker riss die alten Reben heraus, pflanzte hochwertige Burgunderklone, reduzierte den Ertrag auf maximal sechstausend Liter pro Hektar und vervielfachte die Anbaufläche, indem er sich von den nicht sonderlich ambitionierten Nebenerwerbswinzern der lokalen Genossenschaft die Rosinen unter deren Lagen herauspickte.

Heute produziert er 150.000 Flaschen pro Jahr, gewinnt Preise zuhauf, führt nebenbei seine Kundschaft in einem alten Unimog oder einem Oldtimer-Omnibus durch den Kaiserstuhl, veranstaltet Konzerte in seinem Fasskeller und glaubt fester denn je an die glückspendende Kraft des Burgunders.

Das fällt am Kaiserstuhl allerdings nicht besonders schwer, weil kein anderes deutsches Weinbaugebiet dem Pinot das Leben so süß und leicht macht wie das putzige Mittelgebirgchen in der südbadischen Rheinebene. Schwarzwald und Vogesen behüten es wie gütige Ammen, halten alle kalten Winde von ihm ab, fächeln ihm stattdessen warme Brisen vom Mittelmeer durch die Burgundische Pforte zu und machen so den Kaiserstuhl zur wärmsten Weinbauregion in Deutschland. Die Launen der Geologie wiederum haben dafür gesorgt, dass die Burgundertrauben zwischen Endingen und Ihringen auf lockeren Lössböden und verwittertem Vulkangestein prächtig gedeihen.

Sie werden großzügig mit Wasser und Nährstoffen versorgt, bewahren sich dank des hohen Kalkgehalts eine feine Mineralität und laufen wegen der kalten Nächte in den exponierten Höhen auf dreihundert Meter Meereshöhe keine Gefahr, voluminöse Schlachtrösser zu werden – so unverschämt ideal sind diese Bedingungen, als wäre der Kaiserstuhl im göttlichen Schöpfungsplan mit dem Vermerk „Burgunderberg“ versehen gewesen.

Guter Wein wird hier seit zweitausend Jahren angebaut, exzellente Burgunder gibt es an jeder Ecke, und trotzdem ist Rinker eine Ausnahmeerscheinung unter den Winzern der Gegend. Denn der Weinbau wird hier traditionell von zwei monolithischen Blöcken dominiert: zum einen von Genossenschaften und zum anderen von einer Handvoll alteingesessener Granden, den Berchers, Hegers, Kellers, Salweys, Gleichensteins.

Dazwischen bleibt wenig Raum für Senkrechtstarterkarrieren à la Thomas Rinker, der inzwischen von seinem Sohn Johannes, einem studierten Önologen, unterstützt wird. Dass es im Süden Badens keine Dynamik mit Dutzenden ambitionierter Jungwinzer wie in Rheinhessen oder der Pfalz gibt, sondern gemächlicher und manchmal auch ein wenig träger zugeht als anderswo, kann allen Burgunderfreunden indes gleichgültig sein. Denn zumindest in den Flaschen des Hauses Knab herrscht alles andere als die bleierne Routine der Ewiggestrigkeit.

Schon der einfache Weißburgunder Kabinett, der im Stahltank ausgebaut wird und drei Monate lang auf der Vollhefe liegt, ist ein wunderbar munterer, nach Apfel und Pfirsich duftender, von feinen Nussaromen und einer leichten Rauchigkeit umspielter Tropfen für jeden Tag, den sich auch Freiburgs durstige Studenten spielend leisten können. Sein großer Bruder, die Weißburgunder Spätlese von 2016, vierzehn Tage später geerntet und sechs Monate auf der Hefe gelegen, passt mit seinem verschwenderischen Aroma von Quitte, Honig und Wildkräutern dann eher zum akademischen Mittelbau. 

Und die Weißburgunder aus den Spitzenlagen Wihlbach und Schönenberg machen nicht nur die ehrwürdige Professorenschaft froh: Sie breiten einen ganzen Korb reifer Früchte aus, strotzen vor Schmelz und Cremigkeit und werden trotzdem nicht zu gravitätischen Schwergewichten, weil ihnen eine lebenslustige Säure jede Schwermut austreibt.

Auch die Spätburgunder, die im Holzfass reifen, sind trotz aller Konzentration und Intensität, trotz aller tiefgründigen Aromen von Kirschen und Waldbeeren keine Melancholiker, sondern bewahren sich Leichtigkeit und Frische, wie sie nur den besten Pinots geschenkt sind. Und wenn Freiburgs Studenten oder Professoren etwas zu feiern haben, können sie einen Pinot Rosé Brut von 2012 entkorken, einen Cuvée aus Weiß- und Spätburgunder, die mit ihren 13,5 Alkoholprozent so opulent wie ein barocker Altar auftritt, mit ihrer Perlage als Jubilate in der Sekttulpe deherkommt und mit Früchten wie aus dem Garten Eden selbst die verbohrtesten Nationalistennasen großmütig werden lässt.

Jakob Strobel y Serra

stellvertretender Leiter des Feuilletons.

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